IV: Die E-Vision – Oder von A nach B zu kommen, ist zu wenig
Von Dr. Manfred Josef Pauli, 11. März 2011
Der Spruch von Helmut Schmidt kommt so oder so, wenn es um das Thema Visionen geht, also kommt er hier gleich am Anfang: Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen. Bei elektromobilen Visionen ist dieser Gang gar nicht nötig, vielmehr sind auch alle Ärzte willkommen, dabei zu sein.
Ohne gross in die Semantik einzusteigen, eine Vision, verstanden als Zukunftsentwurf, ist ein nützliches Instrument, Klarheit über den Weg zu bekommen, den man gehen will. Eine Art Kompass, wohin die Reise geht.
Bei elektromobilen Visionen haben wir uns bereits auf den Weg gemacht, die Reise hat also schon längst begonnen. Und das spannende ist, derzeit tummeln wir uns vor allem in bekannten Regionen, terra incognita ist noch nicht betreten. Das macht das ganze zum einen spannend, erklärt aber auch, warum mitunter die Debatte so hitzig bis giftig geführt wird.
Die bekannten Regionen, das sind: die elektromobilen Erfahrungen mit funktionierenden Fahrzeugen hier und jetzt. Im Velo-Bereich schon fast Alltag, im Autosegment was die Massenverbreitung angeht noch ein wenig in den Kinderschuhen, aber schnell wachsend.
Die bekannten Regionen, das sind aber auch die noch zu lösenden praktischen Herausforderungen: wie umgehen mit der Reichweite, welches Steckersystem ist für welches Stromnetz das passende, was muss genormt werden, was nicht, welche Player spielen mit, welche müssen zuschauen oder aufhören (etablierte Automobilhersteller, Energieversorger, Start-Ups, Dienstleister, Techniker, Europa, China, Amerika?) und wie schnell gewinnen die Kunden die neue Technik lieb.
Doch, und das ist dann wirklich nichts wofür jemand zum Arzt müsste, die Elektrifizierung unserer Mobilität bietet Chancen in ganz anderen Dimensionen, in unbekannten Regionen. Diese Chancen und Visionen können wir heute schon skizzieren, wir müssen uns jedoch entscheiden, ob und wie schnell wir sie Wirklichkeit werden lassen wollen.
Die Vision vom „Geteilten Glück des Vorwärtskommens“: Es wird immer ein wenig anders sein mit der Mobilität, wenn sie elektrisch ist. Es wird das Gefährt des Alltags sein, nicht für die Verrücktheiten. Es wird das Gefährt sein, das bewusst zu nutzen und zu handeln ist. Das wird Auswirkungen auch auf das Besitzdenken haben. Wird das Elektroauto das „Eigentum“ sein, oder wollen wir „Von A nach B Kommen“ unser eigen nennen? Mieten wir uns die Mobilität für die täglichen 5-40 Kilometer und besitzen die Urlaubskarosse oder machen wir das umgekehrt? Geben wir der „Abstellzeit“ unseres Eigentums – immerhin über 90% der Zeit - zukünftig so was wie Sinn – indem wir sie zum Laden, zum Fremdnutzen oder zum Teilen verwenden und damit anderen das Glück des Vorwärtskommens geben?
Die Vision vom Teil einer neuen Stromzukunft. Wir alle wissen, fossile Brennstoffe gehen zu Ende, mit dem Uran wird das auf Dauer auch nicht gehen können und selbst die Alpen vertragen nicht unendlich viele Pumpspeicherkraftwerke. Und gleichzeitig erleben wir jetzt schon den rasanten Aufstieg der regenerativen Energiequellen. Diese benötigen aber anders als heute, ein dezentrales Netz und viel stärker dezentrale Steuerungselemente. „Vehicle to Grid“ – die Vision hat sogar einen Namen – nennt sich daher die Überlegung, dass unsere Fahrzeuge Teil dieses dezentralen Steuerungs- und Netzsystems werden. Da schaut der Verbrenner aber neidisch ...
Die Vision von der Rückkehr der Lebensqualität: Wir alle wollen mobil sein, diese Trivialität wird aber heute teuer erkauft – durch Abgase, Lärm und dem unwiederbringlichen Verbrauch von Rohstoffen. Werden elektrische Fahrzeuge durch regenerative Energiequellen betrieben, sind sie in ihren CO2- und Schadstoffbilanzen durch nichts zu schlagen, die geringen Lärmemissionen werden auch durch sicherheitstechnisch bedingten Geräuschsimulatoren nicht gänzlich verzehrt und die eine oder andere Lagerstätte von Rohöl kann zukünftigen Generationen als Forschungsstätte- und Gedenkstätte erhalten bleiben. Soviel mehr Lebensqualität in unserem Lebensumfeld – und nur durch eine andere Antriebsart.
Für das eine Mal ist es also dringend geboten, auf einen Arztbesuch zu verzichten. Vielmehr gilt es anzupacken, damit die Visionen bald Realität werden.
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